Leseprobe: Wahnsicht


Prolog

Es ist dunkel im Raum. In Anbetracht der fortgeschrittenen Uhrzeit, brummen nur vereinzelt Busse und gelegentliche Autos vor der Wohnung im ersten Stock herum. Das äußere Straßenlaternenlicht, unterstützt eine milde Lampe im Inneren, des geschlossenen, nach Tabakrauch riechenden Wohnzimmers; mit der Folge, dass externe Geräusche unterdrückt, sich die Internen entfalten und von einer weichen Dr. Dre Baseline durchdrungen werden. Elvis, wie er von Freunden genannt wird, kritzelt einsam Linien in’s Skizzenbuch. Die Inspirationen auf ein frisches Bild, flossen schon mal flüssiger. Einst war Kunst eine stete Begleiterin in seinem Alltag; eine stumme Zeugin. Doch die vergangenen Lebensjahre forderten ihren Tribut, in Form von Kreativität, Lebenskraft- und Qualität. Markus‘ Lebenslauf verzeichnet mittlerweile einen tiefen Bruch – eine dramatische Kluft zwischen ihm und der Ereignisse da draußen, außerhalb des Fensters. Er ließ damals den Gedanken, dass eine gewisse Interpretationsweise, psychische Probleme als tödliche Krankheit definieren kann, nicht zu und verdrängte den Ernst der Lage – er kannte seine Wahrheit: Die Welt hatte sich geändert; Er hatte sich verändert. Grundlegend – und Bildlicher Ausdruck ist dafür heute nicht das angebrachte Medium. Elvis klappt das Zeichenheft zu, zieht einen Karoblock unterm Mauspad hervor und blickt auf Notizen des neuen Projektes. Ein Text. Am Ende ein Buch, das den ganzen Schlamassel der letzten Jahre sortiert, einordnet und verarbeitet – in Gestalt kreativer Wortwahl. ‚Ein Buch für alle und keinen‘, so wie Nietzsches Zarathustra: unkonventionelle alternativ Literatur – nur ohne den Anspruch eines schreibtechnischen Meisterwerkes. Vielmehr dilettantisch per Definition: amateurhaft aus Freude an der Sache selbst. Eine künstlerische Schrift, um eine Lücke zu füllen – einer Lücke über die (nach Markus‘ Gedankenwelt) niemand zuvor stolperte. Etwas dermaßen erhabenes, nur im Kopf sich zugetragenes, der Mitwelt bislang verborgenes näher bringen. Ein Mahnmal für all Jene, die da kommen würden. Kunst in schriftlicher Form. Und so verbringt Elvis einen weiteren Abend mit schreiben, denken und rauchen. Er ist sich sicher: auf den Stachel in seinem Gehirnfleisch, der Frage: „Warum es geschah?“, wird er auch heute keine schreibbare Antwort finden. Dafür kann er zwei andere ausweiten: Wie und wo fing das Sämtliche an?